Bei der Europawahl im Mai feierten die Grünen ihren größten Erfolg seit ihrer Gründung. Und in Aachen demonstrierten 20 000 Schüler bei einer Fridays-for-Future-Demo.

Es tut sich also was in Sachen Umwelt. Das spiegelt auch die Studie Umweltbewusstsein in Deutschland 2018 des Bundesumweltministeriums wider: Mehr als sechzig Prozent der Befragten gaben an, dass Umwelt- und Klimaschutz eine sehr wichtige Herausforderung ist. Aus meiner Sicht ist das eine erfreuliche Entwicklung. Schauen wir aber auf die Praxis, die alltägliche Umsetzung, sieht das leider schon ganz anders aus: Weniger als zwanzig Prozent der Befragten sagten, dass Bürger genug für den Umwelt- und Klimaschutz tun.

Wie können wir diese Lücke schließen, die Lücke zwischen Bewusstsein und praktischem Handeln? Um das herauszufinden und einen anderen Zugang zum Thema zu bekommen, haben wir uns im Seminar Zero Waste City Tübingen? Gedanken gemacht und dazu die Design-Thinking-Methode ausprobiert. Wir interviewten die Tübinger auf der Straße und fragten sie nach ihrem Umgang mit Plastikmüll.

A: Wie präsent ist das Müllproblem für Sie im Alltag?
B: Auf einer Skala von 1 – 10 so zirka eine 7.

A: Das heißt: Sie sind umweltbewusst?
B: Ja, ich bin Mitglied in einer Umweltpartei.

A: Interessant, und wie setzen Sie das beim Einkaufen um? Wie viel Prozent Ihres letzten Einkaufes war in Plastik verpackt?
B: Hm, ja ich gehe dann doch meistens zum Discounter und ich würde sagen, dass etwa 70 Prozent in Plastik verpackt waren.

Mit so einer Antwort hatten wir nicht gerechnet. Es war überraschend und erschreckend zugleich, dass jemand, der sich politisch für die Umwelt einsetzt, das im Alltag nicht umsetzt. Auch Sätze wie „Eigentlich versuche ich es schon, aber …“ haben wir gehört, als wir nach Handlungen zur Plastikvermeidung fragten. Diese erinnern mich stark an den Satz „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …“, den man während der Flüchtlingskrise von vermeintlich ausländerfreundlichen Bürgern hörte.

Die Interviews zeigten uns deutlich, dass die Wunschhandlung stark von der Umsetzung abweicht. Und leider muss ich auch zugeben, dass man dieses Problem selbst nur zu gut von mir selbst kennt. Etwa, wenn ich das verpackte Müsli aus dem Supermarkt kaufe, anstatt mit meiner Dose zum Unverpackt-Laden zu laufen. Oder wenn ich unterwegs etwas Verpacktes kaufe, anstatt mir etwas von zu Hause mitzunehmen.

Unsere Arbeitshypothese ist darum: Wir handeln aus Bequemlichkeit. Ein Passant gab das sogar offen zu. Doch welchen Lösungsansatz können wir entwickeln? An welcher Stelle könnte ein aktives Umdenken stattfinden? Wir nehmen an: Wenn es ums Geld geht. Also konkret: wenn Menschen finanziell etwas davon haben, Müll zu vermeiden. Darum haben wir die Tübinger Green Card entwickelt, nach dem Motto: spare Plastik, spare Geld.

Für jedes plastikfrei gekaufte Produkt bekommt man einen Punkt. Kauft man also eine unverpackte Gurke und Wurst von der Theke in seiner selbst mitgebrachten Dose bekommt man zwei Punkte. Diese Punkte sammelt man auf seinem Konto, welches man im Browser oder per App abrufen kann. Für eine bestimmte Anzahl an Punkten gibt es verschiedene Prämien: Ein Eis, freien Eintritt in das örtliche Schwimmbad oder Rabatte beim nächsten Einkauf in regionalen Läden.

Das System ist leicht verständlich und für jeden nutzbar, weil es bereits aus anderen Kontexten bekannt ist. Beim Vorstellen der Idee auf der Straße bekamen wir darum auch viel positives Feedback. Allerdings ist dieses System auch nicht perfekt. Jedes Produkt müsste ein zusätzliches Label bekommen. Und für jedes Produkt müsste errechnet werden, wie viel Geld man zurückbekommt. Das wäre ein enormer Aufwand zu Beginn. Alle Läden, alle Hersteller, alle Anbieter müssten mitspielen – ob das ginge?

Nun, während du das hier liest, wächst der Müllberg immer weiter. Erst neulich wurde eine Plastiktüte im Marianengraben in mehr als zehn Kilometern Tiefe entdeckt. Überall Müll – unser Müll. Jetzt liegt es an uns, etwas daran zu ändern – und unsere Bequemlichkeit zu überwinden.

Text: Andreas Schaible
Fotos: Nicola Wettmarshausen, Krisztina Papp/unsplash
14.07.2019